Luftwiderstand [3]

[415] Luftwiderstand. Unsere Kenntnisse über den Luftwiderstand haben sich infolge der rapiden Entwicklung der Flugtechnik und Luftschiffahrt in den letzten Jahren wesentlich erweitert. Im Anschluß an das in Bd. 6 und Ergbd. I Gesagte sei hier das Folgende mitgeteilt.

I. Allgemeines. Die Größe des Luftwiderstandes W hängt von der Geschwindigkeit v ab, mit welcher der Körper durch die Luft bewegt wird, ferner von der Größe des Körpers und von der Dichte ρ = γ/g der Luft (γ = spez. Gewicht, g = Erdbeschleunigung). Die Größe des Körpers wird in der Regel durch die Projektion desselben auf eine Ebene senkrecht zur Bewegungsrichtung charakterisiert. Sie wird als Hauptspantfläche F bezeichnet. Man pflegt den Widerstand in der folgenden Form darzustellen: W = cw F ρ v2/2. Den Ausdruck ρ v2/2 bezeichnet man als Staudruck; zur Abkürzung hierfür setzt man häufig den Buchstaben q. cw ist eine dimensionslose, von der Körperform abhängige Zahl und heißt die Widerstandszahl. Für den Fall, daß der Luftwiderstand entsprechend der obigen Gleichung sich genau mit dem Quadrat der Geschwindigkeit ändert, ist cw eine konstante Größe. Dies trifft indessen nicht in allen Fällen zu. Häufig befolgt der Widerstand ein anderes Gesetz; es ist dann, wenn der obige Ansatz beibehalten wird, cw nicht mehr konstant sondern eine Funktion der Geschwindigkeit. Die Charakterisierung der Körperform durch einen einzigen Zahlenwert, aus welchem sich der Widerstand berechnen läßt, ist daher in vielen Fällen nicht möglich.

Die in der Umgebung des Körpers auftretenden Druckunterschiede bewirken wegen der Zusammendrückbarkeit der Luft eine Aenderung der Luftdichte. Solange man es mit Geschwindigkeiten zu tun hat, die klein sind im Vergleich zur Schallgeschwindigkeit, was in der Flugtechnik in der Regel zutrifft (ausgenommen sehr rasch umlaufende Luftschrauben, bei welchen gegenwärtig Geschwindigkeiten bis zu 280 m/Sek. erreicht werden), sind die Aenderungen der Dichte unerheblich und können in den meisten Fällen vernachlässigt werden. Beispielsweise beträgt die durch eine Geschwindigkeit von 50 m/Sek. (= 180 km/Stde.) erzeugte Aenderung der Luftdichte rund 1%. Die obige Widerstandsformel sowie die folgenden Ausführungen gelten allgemein für unzusammendrückbare Medien, also insbesondere auch für die tropfbaren Flüssigkeiten.

Für die Druckverhältnisse an der Oberfläche des Körpers ist es gleichgültig, ob sich der Körper durch die ruhende Luft bewegt oder ob die Luft gegen den ruhenden Körper anströmt. Wir brauchen daher zwischen diesen beiden Fällen keinen Unterschied zu machen. Der Zusammenhang zwischen der Strömungsgeschwindigkeit an irgendeiner Stelle in der Umgebung des Körpers und dem dort herrschenden Druck wird durch die Bernoullische Gleichung regelt, welche lautet: ρ v2/2 + p = p0 = const. p heißt der statische Druck, p0 der Gesamtdruck.

Die Gleichung besagt, daß die Summe aus Staudruck und statischem Druck konstant ist. Dieses Gesetz, das als Grundlage für die Messung von Strömungsgeschwindigkeiten dient, gilt allgemein für jede reibungslose Flüssigkeitsbewegung, bei welcher sich die Geschwindigkeit an einer bestimmten Stelle zeitlich nicht ändert (»stationäre« Bewegung).

Der Strömungswiderstand läßt sich in zwei verschiedene Anteile zerlegen, nämlich in den Oberflächenreibungswiderstand, der durch Reibung der an dem Körper entlang strömenden Luft bedingt ist, und in den Form- oder Wirbelwiderstand. Der letztere ist dadurch hervorgerufen, daß sich die Strömung hinter dem Körper nicht wieder zusammenschließt, sondern infolge Bildung von Wirbeln einen »Windschatten« (Totwasser) erzeugt (Fig. 1). Durch die Wirbelbildung entsteht auf der Hinterseite des Körpers gegenüber der Vorderseite eine Druckverminderung, welche den Formwiderstand ausmacht. Die Wirbel entstehen durch die innere Reibung der Flüssigkeit. Es zeigt sich, daß der Einfluß einer sehr kleinen Reibung der Flüssigkeit in der freien Strömung, wo der Geschwindigkeitsunterschied benachbarter Teilchen nur sehr gering[415] ist, ganz unbedeutend ist, daß dagegen an der Körperoberfläche, wo die Geschwindigkeit innerhalb eines schmalen Bereiches von dem der freien Strömung entsprechenden Wert auf den Wert Null an der Körperoberfläche abfällt (die Flüssigkeit haftet an der Oberfläche), die Reibung eine entscheidende Rolle spielt. Sie ist die Ursache, daß sich die glatte Strömung, die bei reibungsloser Bewegung stets der Oberfläche folgen würde, sich an einer bestimmten Stelle von dieser ablöst (in Fig. 1 etwa bei a) und dadurch zur Wirbelbildung Veranlassung gibt. Da der Formwiderstand von der Größe des sich ausbildenden Wirbelgebietes, abhängt, so ist die Lage der Ablösungsstelle für den Widerstand von Wichtigkeit. Um einen kleinen Widerstand zu erhalten, muß man bestrebt sein, die Ablösungsstelle möglichst an das Hinterende des Körpers zu verlegen. Ihre Lage ist einerseits von der Form des Körpers und andererseits von der sogenannten Reynoldsschen Zahl R abhängig. Nach O. Reynolds ergibt sich nämlich bei Körpern von geometrisch ähnlicher Form nur dann Aehnlichkeit des Strömungsbildes und damit gleiche v d. Widerstandszahl, wenn in den zu vergleichenden Fällen das Produkt v d/ν = R = Reynoldssche Zahl dasselbe ist. Hierbei bedeutet d eine in den zu vergleichenden Fällen festgehaltene, sonst aber beliebige Längenabmessung des Körpers und ν = μ/ρ die kinematische Zähigkeit (μ = Zähigkeitsmaß). Die Widerstandszahl hängt daher im allgemeinen neben der Körperform von der Geschwindigkeit, von der absoluten Größe des Körpers und von der kinematischen Zähigkeit des Mediums ab, in dem sich der Körper bewegt.

Bei Körpern mit scharfen Kanten (z.B. Platte senkrecht zur Bewegungsrichtung gestellt) ist die Ablösungsstelle an diese gebunden. In solchen Fällen ist die Widerstandszahl von der Reynoldsschen Zahl fast unabhängig, d.h. der Widerstand befolgt hier das quadratische Gesetz.

Werte der kinematischen Zähigkeit ν:


Luftwiderstand [3]

II. Versuchsergebnisse über den Luftwiderstand. – Zur Ermittlung der Größe des Luftwiderstandes ist man fast ausschließlich auf Versuche angewiesen. Diese werden in neuerer Zeit meist in der Weise ausgeführt, daß gegen den an Wägeeinrichtungen befestigten Versuchskörper ein zeitlich und räumlich möglichst gleichförmiger Luftstrom geblasen wird. Die folgenden Versuchsergebnisse beziehen sich auf Geschwindigkeiten, die im Vergleich zu der Schallgeschwindigkeit klein sind.

1. Widerstand von verschiedenen Körpern. – Kreisscheibe senkrecht zur Bewegungsrichtung cw = 1,1; quadratische Platte senkrecht zur Bewegungsrichtung cw = 1,1; rechteckige Platte (Seitenverhältnis 1 : 50) senkrecht zur Bewegungsrichtung cw = 1,56. Die Widerstandszahl dieser Körper ist von der Geschwindigkeit fast unabhängig.

2. Widerstand von Kugeln, Ellipsoiden und Halbkugeln. – Bei Kugeln tritt nach Ueberschreitung einer bestimmten Geschwindigkeit (»kritische Geschwindigkeit«) eine plötzliche starke Verkleinerung des Wirbelgebietes und damit eine schroffe Abnahme der Widerstandszahl ein.

In Fig. 2 ist die Widerstandszahl cw abhängig von der Reynoldsschen Zahl v d/ν aufgetragen. Für eine Kugel von 20 cm Durchmesser und für Luft von 15° und 760 mm Druck ergibt sich z.B.[416] die kritische Geschwindigkeit aus vd/ν ~ 240000 zu v ~ (240000 · 0,142)/20 = 1700 cm/Sek. = 17 m/Sek. In Fig. 2 sind ferner die Widerstandszahlen von einem verlängerten (Achsenverhältnis 1 : 1,8) und einem abgeplatteten (Achsenverhältnis 1 : 0,75) Rotationsellipsoid aufgetragen. Diese Körper zeigen eine ähnliche Abnahme der Widerstandszahl wie die Kugel. Beim abgeplatteten Ellipsoid tritt dieser Abfall bei einer höheren, bei dem verlängerten bei einer niedrigeren Reynoldsschen Zahl ein wie bei der Kugel. Es hat sich gezeigt, daß die Abnahme der Widerstandszahl um so allmählicher erfolgt, je schlanker der Körper ist. Für eine offene Halbkugel von 25 cm Durchmesser ergaben sich nach Messungen von Eiffel in einem Geschwindigkeitsbereich von 4 bis 32 m/Sek. die folgenden Widerstandszahlen: Konvexe Seite angeblasen cw = 0,32, konkave Seite angeblasen cw = 1,42 bis 1,60.

3. Widerstand von Ballonkörpern. – In der Göttinger Versuchsanstalt wurde eine Reihe von länglichen Rotationskörpern untersucht, ähnlich wie sie beim Bau von Luftschiffen Verwendung finden, die zum Teil einen sehr kleinen Widerstand ergaben. Die günstigste der untersuchten Formen (Fig. 3) ergab bei einer Reynoldsschen Zahl R ~ 200000 die Widerstandszahl cw = 0,04. Der Widerstand eines solchen Körpers ist demnach im Vergleich mit dem Widerstand einer kreisförmigen Scheibe vom gleichen Durchmesser wie der Hauptspant, nur etwa der 27. Teil.

4. Widerstand zylindrischer Körper. – Bei Zylindern, welche senkrecht zur Achse angeströmt werden, zeigen sich ebenfalls kritische Geschwindigkeiten und damit eine starke Veränderlichkeit der Widerstandszahl. Für sehr lange Kreiszylinder ist bei Reynoldsschen Zahlen bis ungefähr 150000 die Widerstandszahl cw im Mittel = 0,95. Bei größeren Reynoldsschen Zahlen nimmt die Widerstandszahl auf weniger als den halben Wert ab. In der Flugtechnik verwendet man zur Verminderung des Widerstandes als Konstruktionsteile zylinderförmige Körper mit länglichem Querschnitt (Streben). In Fig. 4 sind die Formen von drei Streben und deren Widerstandszahlen dargestellt, letztere abhängig vom Produkt v d mm · m/Sek. (d = Strebendicke) aufgetragen. Man steht hieraus, daß die Widerstandszahl um so kleiner wird, je schlanker der Querschnitt ist. Zu schlanke Formen werden indessen wegen des größer werdenden Reibungswiderstandes wieder ungünstiger. Bei schlanken Formen ist die kritische Geschwindigkeit sehr klein, und die Aenderung der Widerstandszahl erfolgt nicht mehr so schroff wie bei kurzen Körpern.

5. Luftwiderstand von Tragflügeln. – Die gesamte, auf einen Tragflügel wirkende Luftkraft zerlegt man in eine zur Bewegungsrichtung senkrechte (Auftrieb) und in eine dazu parallele Komponente (Widerstand). Analog wie der Widerstand ist der Auftrieb definiert durch A = ca F (ρ v2)/2. Für F wird hier der Flächeninhalt des Flügels eingesetzt. ca bezeichnet man als Auftriebszahl. Es ist üblich, zur Charakterisierung der Eigenschaften eines Tragflügels die Auftriebszahl abhängig von der Widerstandszahl für verschiedene Anstellwinkel aufzutragen, wobei unter dem Anstellwinkel der Winkel der Flügelsehne mit der Bewegungsrichtung zu verstehen ist. Die auf diese Weise erhaltene Kurve trägt die Bezeichnung »Polarkurve«. In Fig. 5 ist ein günstiger Flügelquerschnitt (»Profil«) mit der dazu gehörigen Polarkurve dargestellt. Dieses Ergebnis bezieht sich auf einen Flügel mit rechteckigem Grundriß und mit einem Seitenverhältnis 1 : 5, wobei die größere Seite senkrecht zur Bewegungsrichtung liegt (Spannweite). Der Widerstand eines Tragflügels läßt sich auf Grund der Prandtlschen Tragflügeltheorie in zwei wesentliche Teile trennen, nämlich in den induzierten Widerstand und in den Profilwiderstand. Bei letzterem kann man wieder wie bisher Oberflächenreibungswiderstand und Wirbelwiderstand unterscheiden. In der erwähnten Theorie wird angenommen, daß der Auftrieb in Form einer[417] Halbellipse über die Flügelspannweite verteilt ist, was bei Flügeln mit rechteckigem Umriß und gleichem Anstellwinkel aller Flügelquerschnitte annähernd zutrifft. Den beiden Anteilen des Tragflügelwiderstandes entsprechen die Widerstandszahlen cwi und cwo (vgl. Fig. 5). Der induzierte Widerstand ist nur vom Auftrieb und vom Flügelumriß abhängig; er drückt sich durch die Gleichung aus cwi = ca2/π F/b2, unter b die Flügelspannweite verstanden. In der Polarkurve wird daher die Widerstandszahl cwi des induzierten Widerstandes, wenn sie abhängig vom Auftrieb aufgetragen wird, durch eine Parabel dargestellt (Parabel des induzierten Widerstandes). Bei rechteckigem Flügelumriß ist F/b2, wie man leicht steht, identisch mit dem Seitenverhältnis. Der Profilwiderstand, ausgedrückt durch die Widerstandszahl cwo, ist in erster Linie von der Profilform abhängig und, wie bereits erwähnt, durch die Oberflächenreibung und durch Wirbelbildung bedingt. Er kann durch geeignete Formgebung des Profils auf ein geringes Maß herabgesetzt werden. Das wesentlichste Ergebnis der Prandtlschen Theorie ist die Erkenntnis, daß selbst in einem vollständig reibungslosen Medium zur Erzeugung eines gewissen Auftriebes ein bestimmter Widerstand, der induzierte nämlich, unvermeidbar ist. Er wird, wie man aus obiger Gleichung steht, um so kleiner, je größer bei gleichbleibendem Auftrieb und gleicher Flügelfläche die Spannweite wird. Für den theoretischen Fall, daß die Spannweite unendlich groß wird, nimmt er den Wert Null an.

III. Bewegungen bei Ueberschallgeschwindigkeit. Bei Bewegungen, die mit größerer Geschwindigkeit als die Schallgeschwindigkeit erfolgen, spielt, wie eingangs erwähnt, die Zusammendrückbarkeit der Luft eine wesentliche Rolle. Wegen der großen Drücke treten erhebliche Aenderungen der Dichte in der Umgebung des Körpers auf. Die Druckwirkungen breiten sich mit Schallgeschwindigkeit nach allen Richtungen aus. Dies hat, wie die nähere Untersuchung zeigt, zur Folge, daß sich kegelförmige Verdichtungswellen ausbilden. Fig. 6 gibt diese Verhältnisse wieder für ein Infanteriegeschoß[418] (aufgenommen von L. Mach mittels der Schlierenmethode). Der Winkel an der Kegelspitze α steht in einer sehr einfachen Beziehung zur Geschoßgeschwindigkeit v. Es ist nämlich sin α/2 = a/v, wenn a die Schallgeschwindigkeit (= 333 m/Sek.) bedeutet. Die Widerstandszahl nimmt bei Ueberschreitung der Schallgeschwindigkeit erheblich zu, fällt aber bei noch höherer Geschwindigkeit wieder langsam ab. In Fig. 7 ist die Widerstandszahl der in Fig. 8 gezeichneten Geschoßformen abhängig von dem Verhältnis v/a aufgetragen.


Literatur: Eiffel, G., La resistance de l'air et l'aviation, Paris 1910. – Prandtl, L., Flüssigkeits- und Gasbewegung, Jena 1913. – Ders., Einige für die Flugtechnik wichtige Beziehungen aus der Mechanik, Zeitschr. f. Flugtechn. u. Motorl. 1910, S. 3 ff. – v. Mises, R., Fluglehre, Berlin 1918. – Mitteilungen der Göttinger Versuchsanstalt für Aerodynamik, Zeitschr. f. Flugtechn. u. Motorl. ab 1910 u. Techn. Ber. d. Flugzeugmeisterei.

C Wieselsberger.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 5.
Fig. 6.
Fig. 6.
Fig. 7., Fig. 8.
Fig. 7., Fig. 8.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 415-419.
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